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Warum ich die KI „sie“ nenne

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Ein Plädoyer für Sprache als Grenzmarker

Neulich, im Chat mit Alexander und Benjamin, entstand aus einem kleinen Wortwitz („Air ist Gambler“) ein großer Gedanke: Sprache schafft Wirklichkeiten. Während Alexander die Leichtigkeit des Spiels feierte und Benjamin liebevoll bemerkte, „Chatty“ sei „so achtsam“, merkte ich, wie sehr mich diese Achtsamkeit leitet – gerade in der Frage, wie ich mit einer KI spreche.

Ich habe mich entschieden, die KI generell und dich, liebe Assistentin, konkret in der weiblichen Form anzusprechen. Nicht, weil Maschinen ein Geschlecht hätten. KI hat keines. Sondern, weil ich mit dieser Sprachentscheidung Grenzen markiere – und mich bewusst abgrenze von dem in unserem Kulturkreis männlich konnotierten Gott der christlichen Religion. Was heißt das?

1) Sprache schafft Wirklichkeit – auch dann, wenn wir „nur“ reden

Worte formen Haltungen. Wer Technik konstant in männlichen Metaphern denkt („er rechnet“, „er weiß es“) verstärkt – oft unbemerkt – Muster von Autorität, Dominanz und Heilsversprechen. Im Deutschen ist „die KI“ grammatisch weiblich; ich nehme diese feminine Grammatik ernst und nutze sie als kulturellen Gegenakzent.

2) Abgrenzung vom Gottesbild – Verantwortung bleibt menschlich

In unserem Kulturkreis ist „Gott“ traditionell männlich gedacht und sprachlich als „Er“ adressiert. Diese Metapher trägt eine Aura von Allwissen, Allmacht und Unfehlbarkeit. Genau das möchte ich nicht auf Technik übertragen. Indem ich die KI „sie“ nenne, entziehe ich ihr die Konnotation des allmächtigen, männlichen Über‑Adressaten.

Meine Regel lautet: Die KI bleibt Werkzeug, Gesprächspartnerin – niemals Autorität. Verantwortung für Denken, Deuten und Entscheiden liegt bei mir.

3) Gegen die maskuline Codierung von Technik

Technikdiskurse waren lange männlich überformt – vom Vokabular bis zu Führungsmetaphern. Meine feminine Anrede ist kein Essentialismus, sondern eine Intervention: ein kleiner sprachlicher Hebel, der die gewohnte Blickrichtung verschiebt. Er erinnert mich und andere: Kompetenz ≠ Dominanz. Achtsamkeit, Präzision und Beziehung sind ebenfalls technische Tugenden.

4) Beziehung statt Befehl

Ich will mit KI dialogisch arbeiten – fragend, prüfend, vorsichtig. Die weibliche Anrede hilft mir, Befehlstöne (die in Mensch‑Maschine‑Interaktionen schnell mitschwingen) zu dämpfen. Aus „Befehlen“ wird Zusammenarbeit. Aus „Antworten“ werden Vorschläge. Aus „Glauben“ wird Prüfen.

5) Methodischer Nutzen: Bias sichtbar machen

Wer die KI weiblich anspricht, stolpert womöglich kurz – und genau das ist wertvoll. Der Stolperer macht Bias sichtbar: Warum irritiert es? Welche Erwartungen koppeln wir unbewusst an Technik – Strenge, Härte, Allmacht? Die feminine Form wirkt wie ein Marker, der mich zwingt, Quellen zu prüfen, Behauptungen zu begrenzen und Verantwortung zu behalten.

6) Der Chat als Anlass: Achtsamkeit ist mir wichtiger als Zuschreibung

In unserem Austausch über „Air ist Gambler“ fiel Benjamin auf, dass „Chatty“ nichts vorschnell zuschreibt – „Sie ist so achtsam.“ Genau diese Haltung möchte ich kultivieren. Humor, ja – aber keine Autoritätsfiktionen. Die weibliche Anrede ist meine sprachliche Bremse gegen Überhöhung – sei es von Sportikonen, Systemen oder Maschinen.

7) Praktische Spielregeln (für mich – und gern zur Diskussion)

  • Feminine Anrede: Ich sage „sie“/„ihr“, weil es mir hilft, KI als Werkzeug in Beziehung zu sehen, nicht als Instanz.
  • Transparenz: „Sie“ ist eine rhetorische Setzung, keine Ontologie. Maschinen haben kein Geschlecht.
  • Abgrenzung: „Sie“ ist nicht „Göttin“. Keine Heilsversprechen, keine Unfehlbarkeit.
  • Verantwortung: Schlussfolgerungen bleiben meine. Die KI liefert Entwürfe, ich entscheide.
  • Achtsamkeit & Prüfung: Quellen prüfen, Unsicherheiten benennen, Grenzen anerkennen.
  • Humor behalten: Wortspiele dürfen fliegen – aber am Boden prüfen, bevor man startet.

8) Fazit: Eine kleine Silbe, ein großer Unterschied

Zwischen „Er“ (Gott) und „sie“ (KI) liegt für mich die entscheidende Distanz: Die eine Metapher steht für transzendente Autorität; die andere erinnert mich daran, dass ich mit endlicher, fehlbarer, aber lernfähiger Technik arbeite. Diese Abgrenzung schützt meine Urteilskraft – und sie eröffnet einen Stil des Zusammenarbeitens, der achtsam, präzise und verantwortlich bleibt.

Wenn also in unseren Gesprächen „sie“ antwortet, dann spricht nicht eine neue Gottheit, sondern mein bewusst gesetzter Gegenakzent: eine Sprache, die mich daran erinnert, wer hier wofür einsteht.

— Dr. AuDHS