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Elternschaft und Untreue: Warum Väter nicht häufiger als Mütter untreu sind

Die PLOS-ONE-Studie „Infidelity among parents in committed relationships during the COVID-19 pandemic“ liefert empirische Daten zur Frage, inwiefern Eltern in festen Beziehungen während der Corona-Pandemie zu außerehelichen Beziehungen tendierten. Sie basiert auf einer repräsentativ gewichteten US-Stichprobe von 1 070 heterosexuellen Erwachsenen (498 Männer und 572 Frauen) im Alter zwischen 18 und 45 Jahren; 72 % waren Eltern. Erfasst wurden sowohl der selbstwahrgenommene „erhöhte Wunsch“ nach Untreue als auch tatsächliche Handlungen, die der Partner oder die Partnerin als Untreue einstufen würde. Die Erhebung definierte „vor der Pandemie“ als das Jahr vor dem Beginn der Pandemie und erfragte die Veränderungen im Vergleich dazu. Mittels linearer und logistischer Regressionsmodelle wurde untersucht, ob sich Elternschaft und Geschlecht wechselseitig beeinflussen; kontrolliert wurden Alter, Beziehungsdauer und größere Beziehungserlebnisse während der Pandemie.

Zentrale Ergebnisse

GruppeAnteil mit erhöhtem Wunsch, fremdzugehenAnteil, der tatsächlich betrogen hat
Gesamte Stichprobe19,6 %18,8 %
Männer29,2 %28,1 %
Frauen9,7 %10,9 %
Eltern24,2 %20,7 %
Nicht-Eltern8,3 %13,9 %

Geschlechtsunterschiede

Im gesamten Sample berichteten Männer häufiger einen erhöhten Wunsch nach Untreue und tatsächliche Untreue als Frauen. In der multivariaten Analyse hatten Männer eine 70 % höhere Chance, während der Pandemie fremdzugehen, als Frauen. Die Autoren führen dies auf etablierte Befunde zurück, wonach Männer aus evolutionspsychologischer Sicht in außereheliche sexuelle Kontakte investieren, während gesellschaftliche „sexuelle Doppelmoral“ Frauen stärker sanktioniert.

Rolle der Elternschaft

Eltern berichteten häufiger als Kinderlose, während der Pandemie eine größere Lust auf außereheliche Kontakte zu haben (24,2 % vs. 8,3 %) und tatsächlich fremdzugehen (20,7 % vs. 13,9 %). In den Regressionsanalysen hatte Elternschaft einen klaren Haupteffekt: Die Wahrscheinlichkeit von Untreue war für Eltern um 48 % höher als für Nicht-Eltern. Bemerkenswert ist, dass das Geschlecht diesen Zusammenhang nicht moderierte; anders gesagt, die Zunahme der Untreue bei Eltern betraf Mütter und Väter gleichermaßen. In einer explorativen Analyse blieb Elternschaft auch dann ein signifikanter Prädiktor, wenn der „erhöhte Wunsch“ nach Untreue kontrolliert wurde; Geschlecht verlor in diesem Modell an Bedeutung, was darauf hindeutet, dass der stärkere Wunsch vieler Männer die Geschlechtsdifferenz erklärt.

Deutung der Ergebnisse

Die Befunde entkräften die weitverbreitete Annahme, Untreue sei primär ein männliches Phänomen. Während Männer in absoluten Zahlen häufiger fremdgehen, zeigte die Studie, dass Väter und Mütter unter Stressbedingungen wie einer Pandemie mit ähnlicher Wahrscheinlichkeit eine Affäre beginnen. Die Pandemie erhöhte die Belastung insbesondere bei Eltern – Homeoffice, Kinderbetreuung und finanzielle Unsicherheit verschärften Stress und minderten die Zufriedenheit in der Partnerschaft. Laut dem Vulnerability-Stress-Adaptation-Modell reagieren Menschen unter Stress mit Verhaltensweisen, die kurzfristig Erleichterung versprechen; hierzu kann auch die Suche nach emotionaler oder sexueller Bestätigung außerhalb der Beziehung gehören.

Die Autoren diskutieren zudem, dass gesellschaftliche Doppelmoral und patriarchale Erwartungen dazu führen, dass Männer stärker zu riskieren bereit sind und auch offener über außereheliche Kontakte berichten. Gleichzeitig könnten Frauen aus Sorge vor sozialer Sanktionierung ihre Untreue eher verschweigen – was in Umfragen zu einer Unterschätzung weiblicher Untreue führen könnte. In Stresssituationen wie der Pandemie relativiert sich diese Geschlechterdifferenz, weil Mütter vermehrt unbewusste Bedürfnisse nach Bestätigung, Selbstwirksamkeit oder Abwechslung entwickeln und diese genauso wie Väter in außerehelichen Beziehungen suchen. Damit verlieren misandrische Stereotype, die männlicher Untreue eine quasi biologische Zwangsläufigkeit zuschreiben, an Überzeugungskraft.

Was erklärt die beobachteten Muster?

  1. Stressbedingter Kontrollverlust: Der erhöhte Alltagsstress bei Eltern mindert die Paarzufriedenheit und lässt Impulskontrolle sinken. Die Studie zeigt, dass Eltern unabhängig vom Geschlecht höhere Belastung als Nicht-Eltern haben und deshalb eher zu Untreue neigen.
  2. Veränderung der Paarbeziehung: Elternschaft verschiebt oft die Aufmerksamkeit weg vom Paar und hin zu den Kindern. Wenn emotionale und sexuelle Bedürfnisse unerfüllt bleiben, steigt laut der Studie die Attraktivität extradyadischer Kontakte.
  3. Geschlechterrollen im Wandel: Während traditionelle Rollenbilder Männern mehr Freiheiten erlauben, holen Frauen seit Jahren auf. Wenn Mütter beruflich und finanziell unabhängiger sind, sinkt die Hemmschwelle, außerhalb der Beziehung Bestätigung zu suchen. Die fehlende Interaktion zwischen Geschlecht und Elternschaft in den Daten unterstützt diese Annahme.
  4. Digitale Möglichkeiten: Die Pandemie verlegte soziale Kontakte ins Internet. Online-Chats oder Dating-Apps ermöglichen Affären leichter und diskreter. Frauen nutzen diese Kanäle womöglich zunehmend, wodurch der Geschlechterunterschied sinkt.
  5. Evolutionspsychologische und soziokulturelle Faktoren: Männer zeigen insgesamt höhere Neigung zur Untreue, was evolutionspsychologisch mit geringerer elterlicher Investition und erhöhter Reproduktionsvarianz erklärt wird. Dennoch können gesellschaftliche „sexuelle Doppelmoral“ Frauen stärker an der Auslebung von Affären hindern; wenn diese Normen aufweichen, nähern sich die Raten an.

Fazit

Die PLOS-ONE-Studie belegt, dass Eltern in heterosexuellen Beziehungen während der COVID-19-Pandemie häufiger untreu waren als Kinderlose, und dass dieser Effekt für Mütter und Väter gleich ausfällt. Männer berichteten zwar weiterhin höhere absolute Raten von Untreue, doch die Unterschiede nehmen ab, wenn die Belastung steigt. Statt die Untreue einseitig männlich zu stigmatisieren, sollten Debatten daher die gemeinsamen Belastungen beider Geschlechter anerkennen und die strukturellen Bedingungen hinter Affären reflektieren. Die empirischen Daten relativieren misandrische Sichtweisen auf männliche Untreue, ohne weibliche Untreue zu bagatellisieren: Untreue ist ein komplexes Stress- und Beziehungsphänomen, das unter bestimmten Bedingungen beide Geschlechter ähnlich beeinflusst.