Es gilt als offenes Geheimnis, dass derjenige, der es schafft, einen Computer zu entwickeln, der vollständig innerhalb von einer Sekunde herunterfährt, ein Vermögen machen wird. Die durchschnittliche Zeit, die ein Computer zum Herunterfahren benötigt, hat sich in den vergangenen 20 Jahren nochmals von 20 auf 15 Sekunden reduziert. Und trotzdem sind diese 15 Sekunden für viele von uns derart unerträglich, dass es als sicher gilt, dass der erste Computer, der sich innerhalb von einer Sekunde vollständig ausschalten könnte, eine Massennachfrage auslösen würde.
Als ich diese Anekdote das erste Mal gelesen habe, war das ein lebensverändernder Moment für mich. In diesem Moment realisierte ich, dass meine Lösung als Dr. ADHS, um meinen Mr. Morgenstern zu befrieden – der in diesen 15 bis 20 Minuten jedes Mal fast wahnsinnig wurde – darin bestand, meinen Computer einfach immer angelassen zu haben. Ich habe lediglich die Bildschirme ausgeschaltet und das Betriebssystem in den durch ein Passwort gesicherten Modus versetzt.
Irgendwann ist mir dann jedoch klar geworden, dass diese Lösung im Rahmen meines identitären Ziels Impulskontrolle nicht mit meinem ebenfalls identitären Ziel nachhaltige Lebensführung zu vereinbaren war. Das vollständige Ausschalten meines PCs, ohne hierbei eine Impulsaggressivität kontrollieren zu müssen, war die einzige Lösung.
Heute genieße ich die ziemlich genau 55 Sekunden, die mein alter Rechner braucht, bis dann endlich auch die nicht optimal eingebauten Lüfter sich ausschalten und ich die beiden Mehrfachsteckdosen ausschalte, um wirklich keinerlei Strom mehr an den Computer und seine Peripheriegeräte zu lassen. Ich sehe dabei aus dem Fenster, während es rauscht, hänge einem Gedanken nach – oder auch nicht –, korrigiere manchmal etwas in der Ordnung in meinem Körbchen, das ich im Alltag meist mit mir herumtrage, oder sehe nach, ob ich eine Nachricht erhalten habe, auf die ich reagieren möchte. Und manchmal wird gerade aus der Tatsache, dass ich so erfreulich lange warten muss, ein wundervoller, langsamer, wiederkehrender Moment in meinem Leben – ein erheblich größeres Verlieren bzw. Gewinnen von Zeit –, wenn ich dadurch zum Beispiel Inhalte und einen wechselseitig erfüllenden Austausch mit meiner Frau, meinen Kindern oder einem lieben Menschen aus meinem Umfeld habe.