Wenn Gerechtigkeit am gemeinsamen Konto scheitert
Ein Gesetz, das eigentlich Familien unterstützen soll, entzieht ausgerechnet denen den Anspruch, die gesellschaftlich ohnehin schon stärker belastet sind. Warum die neue Einkommensgrenze beim Elterngeld in der Realität vor allem Frauen trifft – und was das über unser Verständnis von Gleichstellung verrät.
💡 Die Regelung klingt fair – ist sie aber nicht
Ab dem 1. April 2025 soll das Elterngeld nur noch dann gezahlt werden, wenn das gemeinsame zu versteuernde Jahreseinkommen der Eltern unter 175.000 Euro liegt.
Klingt nach einem vernünftigen Instrument, um hohe Einkommen von staatlichen Leistungen auszuschließen.
Doch der entscheidende Punkt liegt im Detail:
Die Grenze gilt für Paare gemeinsam, nicht für die Person, die das Elterngeld tatsächlich bezieht.
👩🍼 Wer wirklich betroffen ist
In der Praxis bedeutet das:
- Verdient der Partner oder die Partnerin (oft der Mann) sehr gut,
- und die andere Person (oft die Frau) geht in Elternzeit oder verdient wenig,
- dann fällt der Anspruch komplett weg – unabhängig davon, ob sie selbst Einkommen hat oder nicht.
Das Elterngeld wird also vom Einkommen des anderen abhängig gemacht.
Und das trifft genau jene, die gesellschaftlich ohnehin häufiger die Care-Arbeit übernehmen: Frauen.
⚖️ Zwischen Anspruch und Realität
Offiziell lautet das Ziel der Familienpolitik:
„Gleichstellung fördern und ökonomische Unabhängigkeit stärken.“
In der Realität geschieht jedoch das Gegenteil:
- Frauen, die eigene Erwerbsarbeit zugunsten der Familie pausieren,
- werden finanziell abhängig vom Partner gemacht,
- und verlieren staatliche Unterstützung, obwohl sie persönlich nichts von dem hohen Einkommen haben.
So wird die alte Rollenverteilung nicht aufgebrochen – sie wird zementiert.
🔍 Warum das so problematisch ist
Das Gesetz behandelt Familien, als wären sie wirtschaftlich eine Einheit ohne Machtasymmetrien.
Doch das stimmt nicht:
In vielen Partnerschaften bestehen ungleiche finanzielle Verhältnisse,
und Frauen tragen häufiger die Last unbezahlter Arbeit, von Haushalt bis Kinderbetreuung.
Wenn dann auch noch die staatliche Unterstützung entfällt,
wird ökonomische Abhängigkeit zur logischen Konsequenz –
ein Rückschritt für Gleichstellung und Selbstbestimmung.
💬 Ein Aufschrei, der berechtigt ist
„Das ist so frauenfeindlich! Denn die trifft es doch zu 99%. Wir wollen unabhängige Frauen und dann wird so ein Gesetz gemacht!“
– Diese Reaktion, die derzeit in sozialen Medien vielfach zu lesen ist,
fasst das Unbehagen präzise zusammen.
Es geht nicht um Luxus oder Anspruchsdenken,
sondern um Gerechtigkeit in einer Phase des Lebens,
in der finanzielle Sicherheit und gesellschaftliche Anerkennung besonders wichtig sind.
🌱 Was sich ändern müsste
Damit das Elterngeld tatsächlich Gleichstellung fördert, müsste gelten:
- Individueller Anspruch statt Paareinkommen
– Wer Elternzeit nimmt, sollte unabhängig vom Einkommen des Partners Anspruch haben. - Förderung echter Wahlfreiheit
– Damit Eltern selbst entscheiden können, wer pausiert – ohne finanzielle Strafen. - Ein neues Verständnis von Familie
– Nicht als „Einheit“ im steuerlichen Sinn,
sondern als Partnerschaft mit individuellen Rechten und Pflichten.
💭 Fazit
Ein Gesetz, das nach Gleichheit aussieht, kann in der Realität Ungleichheit verschärfen,
wenn es gesellschaftliche Strukturen ignoriert.
Das neue Elterngeld zeigt:
Formale Gerechtigkeit ist keine echte Gleichstellung.
Solange das Einkommen eines Mannes darüber entscheidet, ob eine Frau finanzielle Unterstützung in der Elternzeit bekommt, haben wir den Kern des Problems noch nicht verstanden.