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10 Schlüsselprinzipien für den Umgang mit dem modernen Leben

Heutzutage sind viele Menschen geschäftiger denn je und haben mehr Verpflichtungen, als die Zeit zu ihrer Bewältigung zulässt. Nicht wenige fühlen sich völlig überbucht und kurz vor dem Zusammenbruch; auf die Frage „Wie geht es dir?“ antworten viele nur noch mit einem erschöpften „Wahnsinnig viel los!“ – im Englischen oft als “crazy busy” umschrieben. Dieses ständige Beschäftigtsein kann derart zur Gewohnheit werden, dass ausgerechnet die Dinge, die einem am wichtigsten sind, aufgeschoben oder nur halbherzig erledigt werden. Man wird zum Getriebenen eines Lebensstils, den man weder mag noch aus eigener Kraft ändern kann – und paradoxerweise führt gerade der verzweifelte Versuch, alles im Griff haben zu wollen, dazu, dass man die Kontrolle verliert.

Die moderne Welt suggeriert uns, wir könnten überall gleichzeitig sein und alles erledigen – und liefert uns scheinbar magische Werkzeuge, die diese Illusion noch verstärken.

Der Psychiater Edward M. Hallowell, ein Experte für Aufmerksamkeitsstörungen, analysiert dieses Phänomen in seinem Buch Crazy Busy (2006) und zeigt Auswege aus der Überforderungsfalle. In Kapitel 28 stellt er Zehn Schlüsselprinzipien für den Umgang mit dem modernen Leben vor – Strategien, mit denen man in unserer ultraschnellen, ultrawettbewerbsorientierten „Aufmerksamkeitsdefizitgesellschaft“ überleben und dabei geistig gesund bleiben kann. Im Folgenden werden diese zehn Prinzipien und ihre Bedeutung erläutert.

1. Das Wichtigste zuerst

Ironischerweise fallen in einem übervollen Leben meist ausgerechnet jene Aktivitäten und Beziehungen als erste unter den Tisch, die einem eigentlich am wichtigsten sind. Hallowells erstes Prinzip lautet daher: Prioritäten setzen. Man sollte sich nicht in zu vielen Nebensächlichkeiten verzetteln, sondern bewusst wählen, was wirklich Aufmerksamkeit verdient, und allem anderen auch entschlossen eine Absage erteilen. Nur wer lernt, höflich aber bestimmt „Nein, danke“ zu sagen, kann seine Kräfte bündeln und sich sowohl erfolgreich als auch zufrieden seinen wichtigsten Zielen widmen. Hallowell veranschaulicht dies mit der Metapher, die „Lilien zu pflegen und die Blutegel loszuwerden“. Damit meint er: Kümmern Sie sich intensiv um die Projekte, Aufgaben und Beziehungen, die Ihnen Erfüllung und Sinn geben („Lilien“), und trennen Sie sich von den zeitraubenden „Blutegeln“ – den Verpflichtungen und Kontakten, die Ihnen Energie rauben und wenig zurückgeben.

2. Positives Umfeld schaffen

Die emotionale Atmosphäre hat großen Einfluss darauf, wie wir arbeiten und leben. Ein negatives Umfeld – ob am Arbeitsplatz, in der Familie oder im Freundeskreis – führt dazu, dass Menschen an Flexibilität verlieren und Schwierigkeiten haben, mit Unklarheiten und Komplexität umzugehen. Auch Vertrauen, Enthusiasmus, Geduld, Humor und Kreativität bleiben in einem toxischen Klima auf der Strecke. In einem positiven Umfeld hingegen, in dem man sich sicher, willkommen und wertgeschätzt fühlt, kann man aufblühen: Man denkt klarer, verhält sich gelassener und ist besser in der Lage, auch anderen zu helfen. Schon kleine Gesten und Gewohnheiten können dazu beitragen, ein positives emotionales Klima zu schaffen – etwa ein freundlicher Ton, aufmerksames Zuhören und ehrliche Wertschätzung. In einer solchen Atmosphäre kommen die besten Eigenschaften eines Menschen zum Vorschein, was letztlich allen zugutekommt.

3. Den eigenen Rhythmus finden

Jeder Mensch hat einen eigenen Arbeitsrhythmus und gerät idealerweise in einen Zustand des fließenden Tuns – den Psychologen als Flow oder „in der Zone sein“ bezeichnen. Untersuchungen zeigen, dass man in diesem mentalen Zustand sämtliche Tätigkeiten mit höchster Effektivität und Qualität ausführt. Hallowell empfiehlt, den persönlichen Rhythmus zu finden und ihm zu folgen. Wenn man einmal seinen Flow gefunden hat, läuft vieles nahezu automatisch: Der „Autopilot“ im Gehirn übernimmt die routinierten Abläufe, so dass der bewusste, kreative Teil des Geistes sich auf die anspruchsvollen Aspekte der Aufgabe konzentrieren kann. Wer in seinem Rhythmus arbeitet, erlebt die Tätigkeit als müheloser und kann komplexe Arbeiten besser bewältigen. Dieses Prinzip erinnert daran, wie wichtig Übung und Routine sind – erst durch sie erreicht man jene souveräne Leichtigkeit, in der Arbeit auch Freude macht.

4. Zeit sinnvoll investieren

Zeit ist unsere kostbarste Ressource, und doch lassen wir sie uns allzu oft stehlen oder zerrinnt sie ungenutzt zwischen unseren Fingern. Hallowell rät, den eigenen Umgang mit der Zeit bewusst zu steuern: Man sollte seine verfügbare Zeit so einteilen, dass man den größtmöglichen Nutzen daraus zieht. Dazu gehört, Nein zu unwichtigen Aktivitäten zu sagen und Störungen zu minimieren – sonst bestimmen fremde Anforderungen unseren Kalender. Es hilft, regelmäßig eine Art Zeit-Inventur durchzuführen: Welche Tätigkeiten bringen mich wirklich voran oder geben mir Energie, und welche sind bloße Zeitfresser? Entsprechend sollte man entscheiden, was man neu aufnimmt oder beibehält und was man reduzieren oder ganz eliminieren kann. So stellt man sicher, dass man seine begrenzte Zeit für die wirklich wichtigen Dinge einsetzt, anstatt sie mit Belanglosem zu verzetteln.

5. Bildschirm-Zeit begrenzen

Die Verlockung der Bildschirme ist in der modernen Welt allgegenwärtig – sei es Computer, Smartphone, Tablet oder Fernseher. Hallowell warnt vor dem, was er „Screen-Sucking“ nennt, dem Bildschirm-Sog, der uns endlose Stunden kostet. Viele Menschen sind heute regelrecht bildschirmsüchtig: Kaum sind sie offline, spüren sie Entzugserscheinungen und greifen aus Gewohnheit sofort wieder zu einem Gerät. Diese moderne Sucht nach digitaler Ablenkung gilt es zu durchbrechen. Man sollte sich feste Regeln auferlegen, um die eigene Bildschirmzeit im Zaum zu halten. Praktische Tipps sind zum Beispiel: den Bildschirm (oder das Smartphone) außer Reichweite legen, bestimmten Zeiten am Tag für E-Mails und Social Media reservieren und vor allem regelmäßige bildschirmfreie Pausen einplanen. Indem man bewusst Abstand von den Geräten gewinnt, schützt man seine Zeit und Aufmerksamkeit für die Dinge, die im realen Leben vor einem liegen.

6. Ablenkungen beherrschen

Im heutigen Alltag prasseln ununterbrochen Ablenkungen auf uns ein – Nachrichten, Anrufe, E-Mails, Gespräche und unzählige Kleinigkeiten, die unsere Konzentration stehlen. Hallowell hat für diese allgegenwärtige Zerstreuung sogar einen Kunstbegriff geprägt: „Gemmelsmerch“ – die unsichtbare Kraft, die einen ständig von dem abzieht, was man eigentlich tun will oder sollte. Gemmelsmerch ist so allgegenwärtig und mächtig wie die Schwerkraft, und niemand ist völlig immun dagegen. Das Prinzip lautet daher: Ablenkungsquellen identifizieren und kontrollieren. Man sollte seine Umgebung aufmerksam daraufhin untersuchen, was einen immer wieder ablenkt – seien es offene Bürotüren, ständige Benachrichtigungstöne oder unordentliche Arbeitsflächen – und dann gezielt Maßnahmen ergreifen, um diese Störfaktoren zu bändigen. Beispielsweise kann es helfen, das Telefon zeitweise stummzuschalten, Browser-Tabs zu schließen, die nicht zur Aufgabe gehören, oder sich einen aufgeräumten Arbeitsplatz zu schaffen. Je mehr man den Gemmelsmerch unter Kontrolle bringt, desto konzentrierter und effizienter kann man an seinen Vorhaben arbeiten.

7. Aufgaben delegieren

Viele Menschen glauben, alles selbst erledigen zu müssen, doch das führt oft zu Überlastung und mittelmäßigen Ergebnissen. Hallowells Rat: Delegieren, wo immer möglich. Man sollte Aufgaben, die man nicht gerne macht oder nicht gut beherrscht, nach Möglichkeit an andere abgeben. Hilfe anzunehmen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Klugheit. Anstatt krampfhaft unabhängig alles allein stemmen zu wollen, sollte man effektive Interdependenz anstreben – also ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Das Ziel ist nicht totale Unabhängigkeit, sondern ein produktives Miteinander, so Hallowell. Er fasst es bildhaft zusammen: „Du tust etwas für mich, und ich tue etwas für dich – so funktioniert das Leben.“ Indem wir Aufgaben verteilen, kann jeder das einbringen, was er am besten kann, und alle gewinnen Zeit und Energie.

8. Entschleunigen

In einer Kultur, die ständige Hast und Busy-ness glorifiziert, setzt Hallowell ein kontrapunktisches Prinzip: Entschleunigung. Man sollte ganz bewusst ab und zu innehalten und sich fragen: „Wozu die Eile?“ Statt morgens schon gehetzt aus dem Bett zu springen und ungeduldig durch den Tag zu hetzen, ist es sinnvoll, einen Gang herunterzuschalten. Wer versucht, so viel wie möglich in jeden Tag hineinzupressen, läuft Gefahr, alles nur noch halbherzig oder fehlerhaft zu erledigen. Permanenter Zeitdruck macht uns nicht produktiver, sondern im Gegenteil unkonzentriert und gereizt. Hektik ist der Feind eines erfüllten und effektiven Lebens. Wenn wir hingegen das Tempo drosseln, gewinnen wir wieder die Fähigkeit, unsere Aufgaben mit Ruhe und Bedacht anzugehen – und oft erledigen wir sie dann sogar schneller und besser. Entschleunigung bedeutet nicht Faulheit, sondern kluge Rhythmisierung des Lebens: Auf Phasen konzentrierter Aktivität sollten Momente des Durchatmens und Nachdenkens folgen.

9. Nicht verzetteln: Multitasking vermeiden

Dieses Prinzip warnt vor der Illusion des Multitaskings. Viele von uns versuchen, mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen – mit dem Ergebnis, dass nichts davon wirklich gut gelingt. Hallowell bezeichnet ineffektives Multitasking treffend als “frazzling” (von frazzled, aufgerieben oder erschöpft). Statt die Aufmerksamkeit zu zersplittern, sollte man immer einer Aufgabe die volle Konzentration widmen; dann wird sie in der Regel schneller und besser erledigt. Der Mensch ist biologisch nicht darauf ausgelegt, gleichzeitig zwei anspruchsvolle Dinge bewusst zu tun – unser Gehirn kann sich immer nur auf eine Sache fokussieren. Was oft wie Multitasking erscheint, ist in Wahrheit schnelles Hin- und Herschalten der Aufmerksamkeit, was ineffizient und anstrengend ist. Echte Gleichzeitigkeit gelingt nur, wenn mindestens eine der Tätigkeiten zur Routine geworden ist und quasi automatisch abläuft (beispielsweise kann ein geübter Autofahrer sich unterhalten, während er fährt). Hallowell betont: Nur in solchen Fällen funktioniert Multitasking – gleich mehrere anspruchsvolle Aufgaben auf einmal zu wollen, führt unweigerlich zum „Verzetteln“ und mentalen Ausfransen. Die Devise lautet also: Schritt für Schritt statt alles auf einmal.

10. Spielerisch vorgehen

Bei all den Ratschlägen zur Produktivität erinnert Hallowell schließlich daran, das Spielerische nicht zu vergessen. Viele Menschen verlieren in der ständigen Betriebsamkeit ihre natürliche Neugier und Freude – dabei ist genau diese spielerische Herangehensweise der Schlüssel zu Kreativität und Engagement. Indem man eine Tätigkeit mit Fantasie, Neugier und Humor angeht, bringt man die besten Seiten seines Geistes zum Vorschein. Diese innere Verspieltheit führt dazu, dass man ganz in der Aufgabe aufgeht (statt sie lustlos nur abzuarbeiten) und dadurch fokussierter, effektiver und sogar effizienter wird. Hallowell empfiehlt, sich bewusst Elemente des Spiels und der Vorstellungskraft in den Alltag zu holen – sei es durch kleine kreative Herausforderungen, spielerischen Wettbewerb mit sich selbst oder indem man Routineaufgaben in ein Game verwandelt. Wer mit einem spielerischen Geist arbeitet, für den fühlt sich Arbeit weniger wie Arbeit an und mehr wie eine erfüllende Beschäftigung, die auch Spaß machen darf.

Fazit

Dr. Hallowells Buch Crazy Busy steckt voller einprägsamer Beispiele und origineller Begriffe (wie etwa „Gemmelsmerch“ für die allgegenwärtige Ablenkung), die die Tücken des modernen Dauer-Stress greifbar machen. Die hier vorgestellten zehn Prinzipien bieten einen ganzheitlichen Leitfaden, um dem Crazy-Busy-Hamsterrad zu entkommen: Indem man Prioritäten setzt, ein positives Umfeld schafft, den eigenen Rhythmus findet, Zeit bewusster nutzt, digitale Ablenkungen begrenzt, Störfaktoren zügelt, Hilfe von anderen annimmt, das Tempo drosselt, Multitaskingfallen meidet und das Spielerische bewahrt, gewinnt man die Kontrolle über sein Leben zurück. Vor allem aber – und das ist laut Hallowell der größte Gewinn – schafft man wieder Raum, um die Freuden des Alltags bewusst auszukosten und wirklich im Moment zu leben. Dies ist letztlich der beste Anreiz, die beschriebenen Strategien auch umzusetzen: Sie führen zu einem Leben, das nicht nur produktiver, sondern auch glücklicher und sinnerfüllter ist.