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7 statt 4 Jahre Kanzler*in ohne Wiederwahl: Schirachs Vorschläge zur Rettung unserer Demokratie

Deutschland diskutiert viel – und kommt bei großen Vorhaben oft langsam voran. Der Jurist und Autor Ferdinand von Schirach hat dafür einen ungewöhnlichen Vorschlag skizziert: eine gezielte Reform unseres Grundgesetzes, die Regierungshandeln langfristiger, klarer und gleichzeitig kontrolliert mutiger machen soll.

Der Vorschlag in 90 Sekunden

  • Einmalige Kanzlerschaft: Der Bundeskanzler bzw. die Bundeskanzlerin wird für sieben Jahre gewählt – ohne Möglichkeit der Wiederwahl.
  • Gemeinsamer Landtags‑Wahltag zur Halbzeit: Alle 16 Landtagswahlen finden am selben Tag statt, nach dreieinhalb Jahren – de facto eine bundesweite Zwischenbilanz.
  • Drei „Kanzlergesetze“ mit Verfassungscheck: Der Kanzler darf maximal drei Gesetze innerhalb dieser sieben Jahre ohne parlamentarische Mehrheit verabschieden. Vor Inkrafttreten prüft das Bundesverfassungsgericht diese Gesetze umfassend.
  • Parlamentarisches Rückholrecht: Nach drei Jahren kann der Bundestag jedes dieser Gesetze wieder aufheben.
  • Alles andere bleibt parlamentarisch: Abseits dieser drei Ausnahmen gilt weiterhin der normale Gesetzgebungsweg mit Bundestag, Bundesrat, Ausschüssen, Anhörungen – wie gehabt.

Die großen Vorteile

1) 

Langfrist statt Dauerwahlkampf

Eine siebenjährige, nicht verlängerbare Amtszeit entkoppelt politisches Handeln von kurzfristigen Schlagzeilen und Umfragesprüngen. Wer nicht um Wiederwahl kämpft, kann Kosten heute tragen, um Nutzen morgen zu sichern: Rentenreform, Planungsbeschleunigung, Digitalisierung der Verwaltung, Energie‑ und Industriepolitik – die Dinge, die uns heute bremsen.

2) 

Klare Verantwortung – keine Schuldverschiebung

Ein einziges, langes Mandat schafft eindeutige Zuständigkeit. Erfolg oder Misserfolg lassen sich besser zurechnen; Rosstäuschereien zwischen Koalitionspartnern verlieren an Zugkraft. Die politische Kultur würde davon profitieren: „Sagen, was man vorhat; tun, was man sagt; sich daran messen lassen.“

3) 

Ein Ende des permanenten Wahl‑Modus

Wenn alle Landtage am gleichen Tag wählen – und zwar einmal zur Halbzeit –, entfällt der ständige Schock für Bundespolitik und Bundesrat durch fast monatliche Wahlkämpfe in einzelnen Ländern. Das reduziert taktische Blockaden, erhöht die Planbarkeit für Bund und Länder und entlastet die Verwaltung, die heute immer wieder in Wahl‑ und Koalitionslogiken mitdenken muss.

4) 

Gezielte Entschlossenheit durch drei „Joker‑Gesetze“

Die drei außerordentlichen Kanzlergesetze sind kein Freifahrtschein, sondern eine Fokus‑Mechanik: Weil es nur drei sind, muss eine Regierung Prioritäten brutal scharf setzen – für die wirklich großen Brocken, die sonst im Vermittlungsausschuss zerrieben werden. Beispiele: ein stringentes Rentenpaket, ein echtes Einwanderungs‑ und Fachkräftegesetz, eine durchgreifende Planungs‑ und Genehmigungsreform.

5) 

Rechtsstaatlicher Qualitätssprung

Bevor eines dieser drei Gesetze gilt, schaut das Bundesverfassungsgericht ex ante darauf. Das hebt Rechtsklarheit und Grundrechtsschutz, reduziert spätere Normenkontrollen und sorgt für handwerklich bessere Gesetze. Weniger Nachbesserungen, weniger Flickenteppiche – mehr Verlässlichkeit für Bürger, Unternehmen und Behörden.

6) 

Starke Checks & Balances – mit Zeitfenster

Die Rückhol‑Option des Bundestags nach drei Jahren ist ein Sicherungsnetz: Erweist sich ein Kanzlergesetz als Fehler, lässt es sich demokratisch und transparent korrigieren. Gleichzeitig bekommt die Reform genug Zeit, Wirkung zu entfalten – weder hektische Rückabwicklung noch zementierte Fehlentscheidungen.

7) 

Planungssicherheit für Wirtschaft und Kommunen

Sieben Jahre ohne Wahl‑Zickzack und ein synchroner Länder‑Kalender bedeuten verlässliche Investitions‑ und Förderpfade. Unternehmen können größere Transformationsschritte anstoßen; Länder und Kommunen richten Personal, IT und Bauprojekte auf stabile Bundesvorgaben aus.

8) 

Bessere Bund‑Länder‑Koordination

Der gemeinsame Halbzeit‑Wahltag wirkt wie ein Taktgeber: Vorher zieht man Bilanz der Zusammenarbeit; danach legt man verbindliche Fahrpläne bis zum Ende der Amtszeit fest. Das stärkt den Föderalismus sachlich – weniger Symbolgefechte, mehr Umsetzungskoalitionen.

9) 

Mehr Mut – weniger Misstrauen

Die Kombination aus einmaliger Amtszeit, Verfassungsprüfung und parlamentarischem Rückholrecht erzeugt eine mutige, aber gut gesicherte Handlungsfreiheit. Politik kann unpopuläre, aber notwendige Entscheidungen treffen, ohne die Angst, im nächsten Quartal abgestraft zu werden – und ohne die Gefahr, die Gewaltenteilung auszuhebeln.

10) 

Transparente Prioritäten für die Öffentlichkeit

„Drei Joker“ zwingen jede Kanzlerschaft, klar zu benennen, wofür sie ihre Ausnahmemöglichkeiten einsetzt. Das erleichtert Bürgerinnen und Bürgern, Regierungen zu verstehen und zu bewerten – in der Mitte der Amtszeit (bei den Landtagswahlen) und am Ende.

Was bliebe – und warum das wichtig ist

  • Parlamentarische Demokratie bleibt der Standard: Der überwiegende Teil der Politik entsteht weiterhin im Bundestag und Bundesrat, mit Debatten, Ausschüssen, Anhörungen.
  • Starke Gerichtskontrolle wird ausgebaut, nicht geschwächt.
  • Föderalismus wird koordiniert, nicht zentralistisch überrollt.

Kurz: Es ist kein Präsidialsystem durch die Hintertür, sondern ein präziser Eingriff, der Entscheidungsfähigkeit und Kontrolle neu austariert.

Fazit: Ein Reformvorschlag, der unseren politischen Takt neu setzt

Schirachs Idee ist radikal pragmatisch: Sie koppelt mehr Tempo bei den großen Brocken an mehr Verantwortung und bessere Kontrolle. Eine einmalige Kanzlerschaft nimmt den Druck kurzfristiger Belohnungen; der gemeinsame Halbzeit‑Wahltag sorgt für eine faire Zwischenbilanz; die drei Kanzlergesetze mit Verfassungscheck liefern die eine, klare Schnellspur für strukturelle Reformen – mit Rückholrecht des Parlaments.

Ob man jedes Detail teilt oder nicht: Der Vorschlag zwingt uns, die richtige Frage zu stellen – wie wir in Deutschland wieder große Vorhaben in großer Qualität umsetzen. Sieben Jahre Mut könnten ein guter Anfang sein.

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