Es geht in den aktuellen Debatten nicht nur um Männer ohne Macht.
Es geht auch – und vielleicht gerade – um Männer in Machtpositionen, die sich dort nicht patriarchalisch verhalten.
Männer, die führen, entscheiden, Verantwortung tragen, ohne zu dominieren, zu entwerten oder andere systematisch auszuschließen. Männer, die Macht nicht als Anspruch, sondern als Verpflichtung verstehen. Und die dennoch im gegenwärtigen Gleichheitsdiskurs entweder pauschal mit problematischen Strukturen gleichgesetzt oder kommunikativ unsichtbar gemacht werden.
Diese Unschärfe ist kein Randproblem. Sie ist ein zentrales Defizit eines Diskurses, der beansprucht, differenziert über Macht zu sprechen – und dabei immer häufiger auf grobe Zuschreibungen zurückfällt.
Wenn Macht nur noch als Identitätsmerkmal gelesen wird
Die Analyse struktureller Ungleichheit ist notwendig. Sie war überfällig und bleibt unverzichtbar. Problematisch wird sie dort, wo Macht nicht mehr als Beziehungs- und Handlungsphänomen verstanden wird, sondern primär als Eigenschaft bestimmter Gruppen.
In diesem Modus wird „Mannsein“ zur Abkürzung für Macht, und Macht zur Abkürzung für Schuld.
Was dabei verloren geht, ist die entscheidende Differenz: die zwischen Struktur und Verhalten.
Wer Macht innehat, trägt Verantwortung. Aber Verantwortung ist nicht identisch mit moralischer Schuld für historische oder gegenwärtige Fehlentwicklungen, die man weder verursacht noch reproduziert. Diese Unterscheidung wird im Diskurs zunehmend unscharf – mit spürbaren Folgen.
Gerade Männer in verantwortlichen Positionen, die sich um reflektierte, faire und nicht-patriarchale Praxis bemühen, erleben, dass ihre konkrete Haltung kaum noch relevant ist. Ihre Position zählt, ihr Verhalten weniger.
Die paradoxe Lage nicht-patriarchaler Männer in Machtrollen
Nicht-patriarchalische Männer – ausdrücklich auch solche mit Einfluss, Entscheidungsmacht und institutioneller Verantwortung – befinden sich in einer paradoxen Situation:
Sie sollen Macht sensibel, selbstkritisch und verantwortungsvoll ausüben.
Gleichzeitig wird ihnen genau diese Art der Machtausübung kaum als eigenständige Leistung oder bewusste Praxis anerkannt.
Stattdessen stehen sie unter einem doppelten Erwartungsdruck:
- Sie sollen strukturelle Probleme mitdenken und adressieren,
- dürfen ihre eigene Belastung, Ambivalenz oder Unsicherheit dabei aber kaum artikulieren, ohne in Rechtfertigungslogiken zu geraten.
Macht wird eingefordert – Reflexion ebenfalls – Anerkennung hingegen bleibt aus.
Das Ergebnis ist nicht selten Schweigen, Rückzug oder eine vorsichtige Distanz zum Diskurs selbst.
Verantwortung ohne Resonanz
In vielen gesellschaftlichen Bereichen – Führung, Organisation, Familie, ökonomische Sicherung – tragen Männer nach wie vor einen erheblichen Teil der Verantwortung. Nicht, weil sie dazu biologisch prädestiniert wären, sondern weil bestehende Strukturen genau das weiterhin nahelegen oder verlangen.
Diese Verantwortung ist mit realen Belastungen verbunden:
dauerhafte Verfügbarkeit, hohe Entscheidungskosten, geringe Fehlertoleranz, wenig Raum für Erschöpfung oder Zweifel.
Während andere Formen struktureller Überforderung zunehmend sichtbar gemacht und politisiert werden, bleibt männliche Überlastung – gerade in Machtrollen – auffällig oft unbezeichnet. Sie gilt als Teil des Pakets. Oder schlimmer: als illegitimes Thema.
Das sendet eine klare Botschaft:
Verantwortung ja – aber bitte ohne eigene Perspektive.
Wenn Strukturkritik in kollektive Schuld kippt
Ein weiterer kritischer Punkt liegt dort, wo strukturelle Analyse in moralische Pauschalisierung übergeht. Wenn Zugehörigkeit zu einer Gruppe implizit als Beweis für Beteiligung an Unrecht gelesen wird, verliert der Diskurs seine analytische Schärfe.
Nicht-patriarchale Männer – auch in Machtpositionen – erleben dann:
- dass ihr konkretes Handeln zweitrangig wird,
- dass Differenzierungsversuche als Abwehr interpretiert werden,
- dass ihre Stimme nur noch als Teil eines Problems zählt, nicht als Teil einer Lösung.
Hier kippt etwas.
Nicht die Kritik an Macht – sondern ihre Fähigkeit zur Unterscheidung.
Polarisierung als selbstproduzierte Nebenwirkung
Ein Diskurs, der Verhalten nicht mehr von Identität trennt, erzeugt zwangsläufig Polarisierung. Er verliert jene Akteure, die prinzipiell dialogfähig und solidarisch wären, weil sie sich nur noch unter Generalverdacht angesprochen fühlen.
Das ist nicht nur unfair – es ist strategisch kurzsichtig.
Denn viele der zentralen Konfliktlinien unserer Zeit verlaufen nicht sauber entlang von Geschlechtern, sondern entlang von:
- Leistungs- und Verantwortungszuschreibungen,
- Anerkennungsdefiziten,
- emotionaler Vereinzelung,
- struktureller Überforderung.
Diese Phänomene betreffen Menschen unterschiedlich – aber nicht exklusiv.
Eine notwendige Korrektur, keine Relativierung
Eine Weiterentwicklung des Gleichheitsdiskurses bedeutet nicht, Kritik abzuschwächen oder Machtverhältnisse zu verharmlosen. Sie bedeutet, präziser zu werden.
Dazu gehört:
- Macht als Praxis zu analysieren, nicht als Identitätsmerkmal,
- Verantwortung von Schuld zu unterscheiden,
- männliche Selbstbeschreibung zuzulassen, ohne sie sofort zu pathologisieren,
- und anzuerkennen, dass nicht-patriarchale Machtausübung real existiert – und lernbar ist.
Nicht-patriarchale Männer sind kein Gegenargument zur Machtkritik.
Gerade dort, wo sie Macht innehaben, sind sie ein empirischer Beweis dafür, dass Alternativen möglich sind.
Fazit
Gesellschaftliche Kritik gewinnt nicht dadurch an Stärke, dass sie vereinfacht. Sie gewinnt durch Differenz.
Ein Diskurs, der Männer in Machtpositionen ausschließlich als Repräsentanten problematischer Strukturen liest, beraubt sich selbst eines wichtigen Teils seiner Wirksamkeit. Er verliert Verbündete, wo er eigentlich Lernräume öffnen müsste.
Nicht-patriarchale Männer – auch und gerade mit Macht – sind kein blinder Fleck aus Zufall. Sie sind der Prüfstein dafür, ob ein Gleichheitsdiskurs zwischen Strukturkritik und moralischer Zuschreibung noch unterscheiden kann.
Wo diese Unterscheidung verloren geht, wird Kritik laut – aber nicht mehr klug.